Die Leute aus dem Walde, ihre Sterne, Wege und Schicksale by Raabe Wilhelm

Die Leute aus dem Walde, ihre Sterne, Wege und Schicksale by Raabe Wilhelm

Autor:Raabe, Wilhelm
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


Neunzehntes Kapitel

Glänzende Fäden in dunkelm Gewebe

Wir haben aus dem Tagebuche Auroras erfahren, daß auch Helene Wienand – und zwar in Begleitung des Freifräuleins Juliane von Poppen – sich am Bette des alten Mannes, der in ihrem Vaterhause so grausam zu Schaden gekommen war, einfand. Sie kam aus eigenem Herzenstriebe, sie kam aber auch auf Antrieb der mütterlichen Freundin, welche es für gut hielt, daß ihr Pflegekind ein Unglück mit dem andern vergleichen lerne, daß ihr Geist sich nicht einzig und allein an den kranken Vater hefte. Am Bette des Meisters Johannes lernte Helene auch den Sternseher Ulex und den Polizeischreiber Fiebiger kennen, und es entstand in kürzester Frist eine tiefe wechselseitige Zuneigung zwischen ihr und dem Greise vom Giebel des Nikolaiklosters. Die Art des Schreibers verstand sie für jetzt noch wenig, und schüchtern hielt sie sich von ihm fern; sie mußte ihn erst besser kennenlernen.

Starr wie eine Bildsäule blieb Robert auf der Schwelle stehen, als er zum ersten Male Helene am Lager des Verwundeten sitzen sah. Welch einen Glanz gab die dunkle dumpfige Kammer wieder! Brach der liebliche Schein, der in jedem Gegenstand verborgen war, von neuem hell und lustig hervor?

Ach, nur für Robert Wolf! Für die andern blieb das Gemach trübe und traurig. Sie mußten auch fürderhin in der Dunkelheit sitzen.

Der Kranke konnte die bleiche, liebliche Trösterin neben seinem Kopfkissen nicht sehen; aber er vernahm die Trostworte, welche sie mit leiser, süßer Stimme flüsterte; er hielt die kleine Hand in seiner eigenen heißen Hand. Er ließ sich von ihrem Vater erzählen und sprach auch wieder tröstende Worte.

»Solch ein harter Stamm«, sagte er, »fällt nicht auf den ersten Schlag. Es wird noch alles gut werden, liebes Fräulein; man muß nur den Mut nicht verlieren. Solch ein stattlicher Herr –«

Aber weshalb suchte sich die kleine Hand so plötzlich seinem fieberhaften Griff zu entziehen? Weshalb wurde sie so unruhig? Weshalb fing sie an zu zittern?

Robert trat mit Ludwig Tellering gegen das Bett heran.

»Guten Tag, junger Wolf!« sagte Juliane von Poppen; »es freut mich, Euch zu sehen; ich höre, man fängt an, Eure Zerstreutheit zu tadeln. Was ist das? Nehmt Euch zusammen, Kind; arbeitet, lernt, so hat kein böser Geist Macht über Euch. Laßt Euch von der großen Stadt nicht verführen – es ist ein gefährlich Ding.«

Der Jüngling drehte verlegen seine Mütze zwischen den Händen, welche noch mehr zitterten als die Helenes. Der Sternseher und der Polizeischreiber mochten sich mit Recht über die Zerstreutheit ihres Zöglings beklagen; aber er hatte noch lange nicht ihren Gipfel erreicht. Es fand mehr als eine Begegnung zwischen Robert und Helene statt, und nach jeder derselben wurde der Schüler des Sternsehers um mehrere Grade unaufmerksamer. Die Bücher verloren für ihn wieder einmal allen Reiz; weder der kluge Odysseus noch der Männerfürst Agamemnon, weder Äneas mit seinen vagabundierenden Genossen noch Theseus und Jason hatten das geringste Interesse für ihn.

Und was gingen gar den Studenten die Scipionen, Gracchen, Fabier – die Helden der Griechen und Barbaren an? Stand nicht auf jeder Seite der Bücher: Pulvis et umbra sumus, Staub und



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